DIGITALISIERUNG IN DER PHARMABRANCHE

Ein Plädoyer für iteratives Vorgehen.

Ohne die Digitalisierung von Fertigungs- und Unternehmensprozessen, kein weiteres Wachstum. Manuelle Prozesse mit Papier lassen sich nur bis zu einer gewissen Firmengröße bewerkstelligen. Die Beherrschbarkeit der Prozesse wird mit zunehmender Größe immer schwieriger bis irgendwann unmöglich. Weiterhin hat sich das Unternehmensumfeld bereits teilweise verändert und wird dies weiter tun. Darum ist die zentrale Fragestellung: „Wie müssen wir uns als Familienunternehmen weiterentwickeln, um in einer sich verändernden Umwelt zukunftsfähig und international erfolgreich zu bleiben?“ Das große Schlagwort „Digitale Transformation“ stand im Zentrum der Organisationsentwicklung bei der Vetter Pharma-Fertigung GmbH & Co. KG – und damit die Frage, wie in einem solchen Umfeld eine dialogorientierte Kultur des Lernens entsteht. 

Was sind die Kernanliegen eurer Arbeit?

Vetter ist ein Familienunternehmen, das 1950 als Apotheke im oberschwäbischen Ravensburg gegründet wurde. Heute sind wir ein global agierender Pharmadienstleister mit über 5.500 Mitarbeitenden, der sich auf die Herstellung von Medikamenten in Spritzen, Karpulen und Vials sowie auf Konfektionierungs- und Verpackungsdienstleistungen für unsere Auftraggeber – große und kleine Unternehmen der Pharma- und Biotech-Industrie – spezialisiert hat. Diese beeindruckende Weiterentwicklung prägt uns sehr. Wir bieten verlässliche, effiziente und sichere Prozesse rund um die Entwicklung, aseptische Abfüllung, optische Kontrolle und Verpackung von Parenteralia. Die Lebensqualität von PatientInnen nachhaltig zu verbessern, ist ein wesentliches Ziel unseres Handelns. 

Julia Haberbosch, Senior Manager Organisationsentwicklung bei der Vetter Pharma-Fertigung GmbH & Co. KG
  • Name: Julia Haberbosch
  • Rolle: Senior Manager Organisationsentwicklung bei der Vetter Pharma-Fertigung GmbH & Co. KG, davor interne Trainerin in der Vetter Academy sowie in der OE mit den Themen digitale Transformation und Aufbau interne Organisationsberatung sowie organisationale Führungskräfteentwicklung betraut
  • An meiner Arbeit schätze ich: ... in einem erfolgreichen Unternehmen zu arbeiten, das wächst und eine hohe Dynamik hat. Gerade in Pandemie-Zeiten ist es für mich sehr spannend, in einem Pharmaunternehmen tätig zu sein.

Was war das Anliegen des Veränderungsprozesses – in einem Satz?

Das große Thema damals war: Umsetzung der Digitalisierung und die damit einhergehende Bewältigung der digitalen Transformation. Wir hatten in dem Projekt relativ viele Herausforderungen gleichzeitig zu lösen. Von der Produktion über Quality bis hin zur IT waren alle involviert und von der Veränderung betroffen.
Vetter ist ein erfolgreiches Unternehmen, was rasant gewachsen ist und gewohnt war, sich wandelnde Kundenanforderungen immer wieder aufs Neue exzellent umzusetzen. Wir sind funktional aufgestellt und arbeiten innerhalb der Bereiche erfolgreich zusammen. Aber wenn Projekte oder Prozesse quer laufen, dann wird’s spannend. Die Anzahl der Digitalisierungsvorhaben war gewaltig und die Projekte sehr vielschichtig. Bisherige Muster und Vorgehensweisen mussten in Frage gestellt werden und neue Methoden und Tools der Zusammenarbeit etabliert werden. Daher haben wir dwarfs and Giants beauftragt. 

Welche Rolle hat dwarfs and Giants in der Transformation eingenommen?

Damals gab es noch keine eigene Abteilung, die sich mit Organisationsentwicklung und digitaler Transformation beschäftigt hat und die ProjektleiterInnen und Führungskräfte in ihrer Verantwortung für die Umsetzung systematisch unterstützt hat. Daher war es die Aufgabe, das Riesenprogramm mit aufzusetzen, zu koordinieren und die Führungskräfte und ProjektleiterInnen zu begleiten. dwarfs and Giants war u.a. dafür beauftragt, die Zusammenarbeit über Bereichsgrenzen hinweg zu organisieren. Sie waren die Experten für neue (agile) Tools, Methoden und Prozesse. Schnell ist klar geworden: Wir benötigen ein internes Transformationsteam, das mit der externen Beratung zusammenarbeitet. 

Das Ziel war, die Prozesskompetenz schrittweise an das interne Transformationsteam zu übergeben.

Die Arbeit mit dwarfs and Giants war wirklich bereichernd; Matthias Lang war uns eine großartige Stütze, die uns mit Rat und Tat jederzeit zur Seite stand. Der Abstand einer externen Perspektive hat uns internen Transformationscoaches extrem gut getan, um immer wieder neue Impulse für das Projekt zu schaffen. Die Arbeit auf Augenhöhe war wirklich super. Wir haben methodisch und systemisch viel gelernt und menschlich war es immer sehr angenehm.

Was waren die Phasen der bisherigen Transformationsreise?

Inhaltlich gab es folgende Phasen: Erst den Aufbau einer crossfunktionalen Projektstruktur auf Steuerungs- und Ausführungsebene. Als die Projekte dann liefen, gab es vor allem noch Troubleshooting und konkrete Anfragen an uns. Das Transformationsteam war besetzt aus den Projektleitern, den betroffenen Bereichen und den internen Abteilungen mit Prozessverantwortung (HR, IT). In diesem Setup haben wir ca. ein Jahr erfolgreich gearbeitet. 

Im Laufe des Prozesses ist die Idee entstanden, die Transformationscoaches aus dem Transformationsteam in eine interne Organisationsentwicklung zu überführen. Den Aufbau dieser Abteilung, inkl. der Erarbeitung von Visionen, Zielen und Rollenklarheit, hat dwarfs and Giants ebenfalls begleitet. Wichtig waren viele Dialogformate, in denen wir uns ausgetauscht und Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen erarbeitet haben. Das war immer gewinnbringend, zielführend und hat die Probleme gelöst, die wir im Prozess hatten. Besonders spannend war der Zeitpunkt, als die Auftraggeber verstanden hatten, dass es wirklich auf sie selbst ankommt und Digitalisierung nicht einfach nur ein Standard IT Projekt ist, das von andern abgewickelt werden kann.

Was war das größte Highlight für dich?

Einerseits die Kick-Off Veranstaltung, bei der alle am Projekt beteiligten inkl. der Geschäftsführung das erste Mal zusammenkamen, die Zusammenarbeit aufgesetzt wurde und wir uns an Marktständen gegenseitig bekannt gemacht haben. Und andererseits die Entscheidung, dass wir eine interne Organisationsentwicklung benötigen. Durch die gute Begleitung von dwarfs and Giants sind wir im Unternehmen inzwischen sehr gut angefragt und werden von der gesamten Organisation als kompetente Berater und Prozessbegleiter wahrgenommen.

Was war richtig anstrengend zwischendurch und wie habt ihr die Situation gemeistert?

Immer dann, wenn Führung nicht sichtbar war und keine Entscheidungen getroffen wurden und jeder nur auf sich und seine persönlichen Ziele geschaut hat, sind wir steckengeblieben. Eine Lösung dafür war, offene Dialogformate zu schaffen und die richtigen AkteurInnen an den Tisch zu holen. Wir haben auch hart an Glaubenssätzen und Mustern gearbeitet, die unsere Führungs- und Zusammenarbeitskultur betreffen, weil dort die stärksten Hebel waren. Einmal gab es von der Geschäftsführung die Aufforderung: „Jetzt müssen alle in einen Raum, an einen Tisch und dürfen erst raus, wenn weißer Rauch aufsteigt.“ Wir als Transformationscoaches waren eingeladen, dieses Gespräch zu moderieren. Wir waren dafür richtig gut vorbereitet. Im Meeting ist dann allerdings schnell klar geworden, dass die Entscheider die Verantwortung für den Gesprächsverlauf doch nicht abgeben wollten oder konnten. Wir haben das als Rückschlag erlebt. Dennoch sind wir selbstverständlich an dem Thema drangeblieben, haben intern reflektiert, Perspektiven zusammengelegt und versucht mit einem fundierten Blick auf die systemischen Ursachen nächste Interventionen zu gestalten. Das ist in einer Kultur, die stark auf Personen als Ursache von Problemen blickt, nicht immer so einfach. 

Am Ball bleiben und konsequente Arbeit zu machen, war dafür sicher ein Erfolgsrezept. Wir sind immer wieder auf die Metaebene gestiegen und haben reflektiert, analysiert und nächste Interventionen gesetzt. Das war denke ich erfolgsentscheidend.

Wie würdest du beschreiben, was sich verändert hat?

  • Unsere Silos und damit verbundenes hierarchisches Denken und Handeln brechen zunehmend auf.
  • Die Fehlerkultur wächst: Probleme werden häufiger offen diskutiert und reflektiert und somit bearbeitbar.
  • Mehr bereichsübergreifender Dialog: Wir suchen nicht mehr nach Schuldigen, sondern lernen gemeinsam.

Mein „Learning“ war sicherlich, wie mächtig organisationale und kulturelle Muster greifen können und wie viel Zeit und Geduld man persönlich aufbringen muss, um hier Veränderungen zu erzielen. Transformationsarbeit im Familienunternehmen ist eine Reise, die geprägt ist von Achtsamkeit im Spannungsfeld von Vergangenheit und Zukunft. Ich muss die Gelassenheit aufbringen, dass die Geschwindigkeit viel langsamer ist und akzeptieren, dass ich nicht aus rationalen, logischen Inhalten Handeln ableiten kann. Ich muss es möglichst von unten nach oben erlebbar machen. Weniger ist häufig mehr und punktuelle Interventionen sind gut, damit dazwischen mehr in der Organisation entstehen kann. Eine feinfühlige Beobachtung und die Reflexion mit allen Beteiligten auf Augenhöhe sind wichtig, um aus gewonnen Erfahrungen neue Herangehensweisen abzuleiten. 

Was sind ein konkretes Alltagserlebnis, das symbolhaft dafür steht?

Es wäre vor fünf Jahren noch nicht möglich gewesen, im Management-Meeting als Prozessbegleiter dabei zu sein, jetzt ist das selbstverständlich. Wir sind dort geschätzte Partner auf Augenhöhe. Auch tauschen wir uns heute offen über Bereiche und Hierarchien hinweg in Retrospektiven aus und schauen dabei auch auf Verbesserungsmöglichkeiten.

Wenn die Transformation ein Film oder Buch wäre – was wäre der Titel?

„PAW Patrol – die Helfer auf vier Pfoten“: Die sechs heldenhaften Hunde führen in der Kinderserie ja in ihrem Wohnort verschiedene Missionen durch und lösen allerhand Probleme. Von der Rettung von Katzen auf Bäumen bis zu Zügen, die feststecken, ist alles dabei. Wir sind in der internen Organisationsentwicklung immer dann wichtig, wenn's irgendwo brennt (…oder vorausschauender, wenn es nicht brennen soll). Wir stehen den Führungskräften und der Organisation in ihrer Verantwortung für die Organisationsentwicklung mit Rat und Tat zur Seite.

Was würdest du einer Organisation raten, die sich auf eine solche Reise begibt?

Wertschätzend den gewachsenen Kontext weiterentwickeln und dabei die Menschen in den Fokus nehmen, statt den Fokus zu stark auf Technik und Zukunft zu richten. Das Tandem aus interner und externer Beratung finde ich sehr gelungen für solche Organisationsentwicklungsthemen. Wichtig ist es, ein gutes, interdisziplinäres Transformationsteam aufsetzen, das aus Menschen besteht, die intrinsisch motiviert sind und Spaß am Weiterentwickeln der Organisation haben. Es bedarf auch eines wirklich engen Austausches auf der menschlichen Ebene mit dem Management: „Was macht unser Projekt mit uns allen?“ Da muss man auch mit der Führungsebene konsequent drauf schauen. Und: Sich den Auftrag für die Transformation aus dem Management immer wieder neu abholen und kommunizieren, kommunizieren, kommunizieren. Solche Projekte benötigen Geduld und einen langen Atem. Rückschläge sind Teil dieser Erfahrung. In unserer Größe von heute insgesamt ca. 5.500 Mitarbeitenden sehe ich jetzt nach fünf Jahren erste richtige Erfolge. Es ist wirklich faszinierend, was alles auf dem Weg entsteht und sich verändert, was völlig ungeplant ist, weil man am Beginn einfach nicht weiß, was man brauchen wird. Ein Plädoyer für iteratives Vorgehen.

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