Selbstorganisation

Bringe den Unternehmergeist in deiner Organisation auf Touren – ohne Chaos.

Wie rollenbasierte Selbstorganisation funktioniert, ihre Stärken und Schwächen und wie wir sie heute in Organisationen einführen.

Ein großer Teil davon, Zusammenarbeit im 21. Jahrhundert neu zu erfinden, ist das Ersetzen der Management-Pyramide durch elegantere Strukturen. Viele der heute dafür verwendeten Ansätze beruhen auf der Pionierarbeit der Soziokratie in den 1970er in den Niederlanden. In den 2010er Jahren haben sich unzählige neue Ansätze entwickelt, wie Soziokratie 3.0, Holakratie, Kollegiale Führung, Open Organization oder der Loop Approach.

Diese Vielfalt stellt einen jedoch vor eine Herausforderung: Wie soll man jetzt entscheiden, welcher dieser Ansätze für die eigene Organisation der passende ist? Gerade wenn man kein Entscheidungsstrukturen-Nerd ist, wie so manche Zwerge oder Riesinnen?

Wir sind von Anfang aktiver Teil der europäischen Selbstorganisationsbewegung gewesen und möchten dir hier einen kurzen Überblick darüber geben, was die Kernprinzipien rollenbasierter Selbstorganisation sind, und wie wir diese heutzutage einführen. (Spoiler: Wir unterstützen deine Organisation dabei, den passenden Ansatz zu finden, und entwickeln ihn basierend auf euren Bedarfen mit euch weiter.)

"Learning by Doing" beim Selbstorganisations-Deep-Dive-Training in Polen für Xsolve (heute: BOLDARE.com) (c) niekreatywny.pl

Was ist Selbstorganisation?

Selbstorganisation versucht, ein Problem zu lösen, über das viele progressive Organisationen stolpern, wenn sie versuchen, weniger hierarchisch zu arbeiten: Plötzlich stehen alle Räder still, weil sich die Entscheidungsfindung per Konsens als neue Norm eingeschlichen hat. Statt mutige, Purpose-geleitete Entscheidungen zu treffen, delegieren Teammitglieder irgendwann auch die banalsten Entscheidungen an den Gruppenkonsens, bis schließlich 40 Leute drei Stunden lang in einem Kreis sitzen und darüber diskutieren, welche Kaffeesorte wir jetzt bestellen sollen.

Statt Entscheidungen nach „oben“ zu eskalieren...

Dieses Problem entsteht in der Regel dann, wenn man versucht, die Hierarchie loszuwerden, ohne sie durch etwas Besseres zu ersetzen. Bei all ihren Nachteilen hat die Management-Hierarchie ja durchaus Vorteile; sonst wäre sie nicht die vorherrschende Organisationsform des letzten Jahrhunderts geworden. Einer dieser Vorteile ist, dass man – zumindest theoretisch – immer weiß, wie man zu einer gültigen Entscheidung kommt: Im Zweifel entscheidet die Chefin.

Immer wenn du eine Meinungsverschiedenheit hast, weißt du sofort, wie sie zu lösen ist: Lass die Chefin entscheiden! Der Nachteil daran ist, dass nun jede Entscheidung auf dem Schreibtisch der Chefin landet. Das führt entweder dazu, dass die Chefin zum Engpass für die gesamte Organisation wird und alles langsamer macht, oder dass sie zwar schnelle, aber schlechtere Entscheidungen trifft.

Selbst wenn man gut darin ist, den Spieß umzudrehen, d.h. immer wieder die Lösungsverantwortung an die Problembringerin zurück zu geben, ist es sehr schwierig, sich an der Spitze nicht überfordert zu fühlen. (Es ist nicht unmöglich, aber es braucht viel Anstrengung.)

... oder in die Konsens-Falle zu tappen.

Wenn man nun die Hierarchie nun abschafft, ohne ein klares System zu haben, wie man zu gültigen Entscheidungen kommt – gerade dann, wenn man sich mal nicht einig ist –, schleicht sich schnell ein Muster ein, dass man im Zweifel alles im Konsens entscheidet. Denn wenn jeder und jede deine Entscheidung in Frage stellen kann und du ihm oder ihr nicht sagen magst „Nein, ich darf diese Entscheidung allein treffen“, dann ist es (vermeintlich) effizienter, im Voraus alle um Zustimmung zu bitten. Diese Dynamik führt dann aber schnell dazu, dass alle das Gefühl haben, ständig an allem beteiligt sein zu müssen, was wiederum dazu führt, dass alle überfordert sind.

Hatte man früher in der Hierarchie nur eine Chefin, so ist jetzt jede/r dein/e Chef/in.

Mussten in der Hierarchie nur einige wenige Leute an der Spitze an alles denken – während alle anderen sich zurücklehnen –, so müssen in der Konsens-Falle alle ständig an alles denken.

Der Mental Load aller Beteiligten explodiert, ohne irgendeinen Vorteil für die Organisation.

Unklare Entscheidungsstrukturen führen schnell dazu, dass sich alle überfordert fühlen. (c) niekreatywny.pl

Die Hierarchie von Rollen und Kreisen

Die Kreisstruktur von dwarfs and Giants (Stand 12/2024) mit dem "General Company Circle" als oberster Ebene und dem Purpose: "Rewriting the future of organization. Catalyzing the evolution of wholesome organizations."

Rollenbasierte Selbstorganisation versucht, dieses Problem auf verschiedene Weisen zu lösen. Es wird ein Organigramm erstellt, der auf klaren Rollenbeschreibungen mit eindeutigem Purpose, Verantwortungen und Entscheidungsbefugnissen beruht. Diese Rollen können in Kreise gruppiert werden, die ihrerseits in Kreise zusammengefasst werden können, wodurch eine Hierarchie von Kreisen und Rollen entsteht. Statt einem heroischen CEO steht nun der Purpose der Organisation  an der Spitze dieser Hierarchie von Rollen und Kreisen.

Einzelpersonen können in verschiedenen Bereichen der Organisation verschiedene Rollen einnehmen, wobei unterschiedliche Erwartungen an sie gestellt oder unterschiedliche Entscheidungsbefugnisse an sie übertragen werden – nicht aufgrund ihres sozialen oder rechtlichen Status, sondern aufgrund der Rolle, die sie ausfüllen. Wenn es keine Klarheit bei der Entscheidungsfindung gibt, dann kann die entsprechende Rolle selbst entscheiden, ohne einen Vorgesetzten um Erlaubnis bitten oder einen Gruppenkonsens einholen zu müssen.

Ein klarer Prozess für strukturelle Änderungen

Es gibt einen klaren Meta-Entscheidungsprozess zur Festlegung und zur regelmäßigen Aktualisierung dieser Rollen und Entscheidungsstrukturen: den Governance Prozess (oder, je nach Ansatz, auch "Strukturmeeting" o.Ä.). Der Governance Prozess hat den Vorteil der konsensbasierten Entscheidungsfindung, dass jede/r Vorschläge einbringen kann und jedes Feedback gehört wird, vermeidet aber den Nachteil, dass mit Vetos Änderungsideen blockiert werden können.

Das schafft er, indem er auf Konsent statt Konsens setzt: Im Konsens ist eine Entscheidung erst dann getroffen, wenn alle "ja" sagen. Im Konsent, mit T am Ende, gilt ein Vorschlag als angenommen, wenn niemand einen klar begründeten Einwand erhebt. Und auch wenn ein Einspruch vorliegt, hat der Gegner im Governance Prozess die Pflicht, sich an der Suche nach einer gemeinsamen Lösung zu beteiligen, andernfalls wird der Einwand für ungültig erklärt. So verhindert der Prozess bei konsequenter Durchführung, dass endlose Diskussionen entstehen, oder verletzte Egos eine Entscheidung blockieren.

„Ich schlage vor, dass...“ – das erste Governance-Meeting in einem Praxis-Training fühlt sich anfangs oft sperrig und ungewohnt an. Doch rasch wird klar: Dieser integrative Entscheidungsprozess erzeugt eine erstaunliche Klarheit und ist dabei richtig effizient. (c) niekreatywny.pl

Zudem wird der Governance-Prozess nur sehr begrenzt eingesetzt. Er wird verwendet für Entscheidungen, die die Struktur betreffen, d. h. um Rollen und Entscheidungsbefugnisse zu definieren. Alle anderen Entscheidungen, alle operativen, strategischen und alltäglichen Entscheidungen, werden innerhalb der durch diesen Prozess definierten Rollen getroffen.

Der Standardmodus der Entscheidungsfindung ist dezentrale, lokale Autokratie: Die entsprechende Rolle entscheidet. Diese Aufteilung, bei der strukturelle Entscheidungen gemeinsam, und operative Entscheidungen auf der Grundlage dieser gemeinsam vereinbarten Struktur in lokaler Autokratie getroffen werden, macht den großen Unterschied zur Hierarchie aus, in der der Standardentscheidungsmodus lautet: „Die Chefin entscheidet.“ Und auch den großen Unterschied zur Konsensdemokratie, bei der alle immer mit allem einverstanden sein müssen.

Arbeit AN der Organisation vs. Arbeit IN der Organisation

All diese Kernelemente werden üblicherweise in einem Regelwerk festgehalten. Manche Selbstorganisationsansätze sprechen sogar von einer "Verfassung".

In diesem Regelwerk finden sich meistens die Definitionen von Rollen, Verantwortungen, Bereichen und Richtlinien, wie auch die Funktionsweise des Governance-Prozesses, sowie einige Ideen zur Steuerung von Ressourcen und Prioritäten bei der täglichen Arbeit. Daneben bietet es einige Out-of-the-box-Entscheidungsstrukturen zur Frage, wer über Budgets entscheidet und wer welche Rolle einnimmt. Alle sollen und können im Laufe der Zeit durch den Governance-Prozess angepasst werden. Bei einer kompletten Umsetzung von rollenbasierter Selbstorganisation ratifizieren die rechtlichen MachthaberInnen der Organisation offiziell das Regelwerk, d.h. sie übertragen ihre Entscheidungsbefugnis auf das Selbstorganisationssystem (nachzulesen z.B. hier am Beispiel des Wiener IT-Unternehmens ONTEC).

Du möchtest mehr zu Selbstorganisation erfahren?

Wende dich gerne an Björn: b.rabethge [at] dwarfsandgiants.org (b[dot]rabethge[at]dwarfsandgiants[dot]org)

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