Selbstorganisation

Holacracy: Ein Fleischwolf für organisationale Entscheidungsprozess

Die Struktur – holakratische Rollen und Kreise – ist lebendig und entwickelt sich laufend weiter. Doch wie wirkt das alles zusammen? Buchbeitrag von Gerald in "Management der Nonprofit-Organisation – Bewährte Instrumente im praktischen Einsatz" (Eschenbach/Meyer/Schober/Horak, 2015).

  • 1. Juni 2016
    Lesezeit 9 Minuten

Was ist Holacracy? Holacracy ist kein Modell oder eine Organisations-Theorie. Brian Robertson, der Entwickler von Holacracy beschreibt es als ein Betriebssystem für Organisationen. Ein Betriebssystem auf einem Computer regelt die basalen Regeln des Zusammenspiels, Informationsflusses zwischen einzelnen Komponenten. Ein funktionierendes Betriebssystem fällt selten auf, ein nicht funktionierendes allerdings macht alles, was darauf läuft, langsam, instabil und fehleranfällig. Das Betriebssystem bestimmt jedoch nicht, welche Software-Programme darauf ausgeführt werden.
Denken Sie an ein Smartphone: es hat ein standardisiertes Betriebssystem. Über die Apps, die darauf laufen, entscheidet jedoch die Anwenderin. Und sie wird sich an dem Zweck orientieren, für den sie ihr Smartphone nutzen will. So ist auch Holacracy zu verstehen: es regelt die grundsätzlichen Spielregeln für das Prozessieren von Entscheidungsbedarfen in Organisationen. Es beschreibt jedoch keine ideale Organisationsstruktur. Jede holakratische Organisation organisiert sich rund um ihren Seins- Zweck (purpose-driven) und sieht daher vollkommen anders aus. Zudem ist die Struktur immer nur eine Momentaufnahme der aktuellen organisationalen Realität. Die Struktur – holakratische Rollen und Kreise – ist lebendig und entwickelt sich laufend weiter. Doch wie wirkt das alles zusammen?

Holacracy ist ein Kunstwort, das sich aus Holon bzw. Holarchie und -kratie (griech. -kratía = -herrschaft) zusammensetzt. Der Begriff Holon wurde von Arthur Koestler geprägt und beschreibt ein Ganzes, das ebenso Teil eines größeren Ganzen ist (aus dem griech. ‚holos‘ = Ganzes und ‚on’ = Entität). Beispiele für Holons sind z.B. Atome, die eigenständig aber auch wieder Teile von Molekülen sind, die wiederum Zellen bilden etc. Diese Abfolge ist ein Beispiel einer Holarchie: eine geschachtelte Hierarchie von Holons zunehmender Ganzheit.

Zur Entstehung von Holacracy

Ausgangspunkt der Entwicklung von Holacracy waren sehr einfache Fragen: Was in Organisationen verhindert, dass Verbesserungspotentiale wahrgenommen werden und daraus konkrete Handlungen folgen, die eine Organisation weiterbringen? Und wie muss ein System konzipiert sein, um diese Hindernisse zu eliminieren? (Robertson 2014, Stand vom 18.10.2014)

Die inhaltlichen und methodischen Wurzeln von Holacracy gründen in verschiedenen Strängen: einerseits sind viele Einflüsse agiler Softwareentwicklung (wie zB. visualisierte Project-Corkboards, Informationstransparenz, selbst-organisierte Teams) und der Selbstmanagementmethode Getting things done von David Allen (projects, next actions, Klarheit über alle anstehenden Aufgaben) erkennbar. Zum anderen finden sich viele Ideen der Soziokratie (selbst-organisierte Zirkel, Koppelung von Zirkeln über gewählte Rep-Links, integrativer Entscheidungsprozess) in Holacracy wieder. Für eine ausführliche Darstellung des soziokratischen Organisationsmodells vgl. Rüther 2010.

Brian Robertson selbst sagte über die Entwicklung von Holacracy in einem seiner Workshops, er hätte dieses System nicht erfinden können, es hat sich von selbst dorthin entwickelt, „…because evolution is smarter than you.“ Über den Entstehungsprozess schreibt er:

I began to realize that rules and methods stemming from my ideas and principles were actually getting in the way of my ultimate search for a better way to organize a company.

(Robertson 2014, Stand vom 18.10.2014)

Holacracy ist daher als evolutionäres Betriebssystem angelegt. Es entwickelt sich durch die Anwendung laufend weiter. Wie ein Softwareprodukt wird Holacracy laufend optimiert und das ausschließlich auf Basis realer Daten, die durch die Anwendung des Systems entstehen. Als Grundprinzip gilt: nichts wird vorbeugend optimiert und weiterentwickelt, das Feedback der Realität zeigt den Weg. Mittlerweile gibt es die Holacracy Verfassung – jenes Dokument, das alle grundlegenden Regeln des Betriebssystems zusammenfasst – in der vierten Version.

Die Kernpraktiken von Holacracy

Ein leistungsfähiges Betriebssystem bringt mit sich, dass es auf kognitivem Wege schwer vollständig zu begreifen ist. Über Windows zu lesen, ist was anderes als darauf zu arbeiten! Nachfolgende Ausführungen sollen dabei helfen, die grundlegenden Kernpraktiken und Wirkmechanismen von Holacracy zu verstehen.

Selbstorganisierte Kreise mit Doppelverbindung

Holacracy arbeitet mit „Kreisen“ als organisationalen Einheiten. Kreise sind ein Bündel von organisationalen Rollen, die notwendig sind, um den definierten Zweck des Kreises erfüllen zu können. Rollen sind definiert durch ihren Seins-Zweck (Beitrag der Rolle für die Organisation), ihre „Domains“ (Entscheidungsbereiche, die ausschließlich diese Rolle innehat) sowie „Accountabilities“ (alle wiederkehrenden Aktivitäten, die von dieser Rolle von allen anderen Organisationsmitgliedern erwartet werden können). „Rollen“ werden von ein oder mehreren Personen „energetisiert“, wobei einzelne Personen ganz unterschiedliche Rollen in verschiedenen Kreisen der Organisation ausfüllen können. Ein Kreis ist in seinen Entscheidungen und Arbeitsprozessen zwar selbstorganisiert, jedoch nicht völlig autonom. Jeder Kreis ist – einer Holarchie entsprechend – Teil eines umfassenderen Kreises und muss die Anforderungen der anderen Kreise berücksichtigen. Zu diesem Zweck ist der übergeordnete Kreis mit jedem seiner Unter-Kreise über mindestens zwei Rollen gekoppelt: den Lead Link und den Rep Link (siehe Abbildung 1). Beide Rollen können an allen Meetings der beiden Kreise teilnehmen. Der Lead Link eines Sub-Kreises wird vom übergeordneten Kreis bestimmt und ist gemäß der holakratischen Verfassung verantwortlich, das Ergebnis des Unter-Kreises mit den Anforderungen des übergeordneten Kreises abzustimmen. Diese Rolle entspricht am ehesten der traditionellen Rolle eines Managers, wobei es in Entscheidungskompetenz und Durchgriffsrechten nicht vergleichbar ist. Ein Lead Link managt die Grenzen des Kreises indem sie dafür sorgt, dass niemand „unbefugt“ auf Ressourcen (Domains, Personen…) des Kreises zugreift. Der Rep Link als zweite Verbindungsrolle wird vom Unter-Kreis gewählt und in den übergeordneten Kreis entsandt. Diese Rolle bringt die Perspektive des Unter-Kreises ein und sorgt somit dafür, dass der übergeordnete Kreis förderliche Rahmenbedingungen für den Unter-Kreis schafft. Diese Logik der Doppelverbindungen erstreckt sich über die gesamte holakratische Organisation.

Doppelverbindung über Lead Link und gewählten Rep Link in Holacracy

Verteilte Autorität

Über die Festlegung von Domänen für Kreise und einzelne Rollen wird die Entscheidungsmacht über die gesamte Organisation verteilt. Niemand kann durch typische Praktiken traditioneller Organisationen, wie besseres Lobbying und Allianzen, informelle Meinungsbildung, oder indem man am lautesten schreit, jemand anderen überstimmen. Es gibt auch keine Vorgesetzten, die eine von einer Rolle getroffene Entscheidung revidieren könnten. Jedoch kann jede Rolle zu jedem Zeitpunkt die (Neu-)Verteilung von Entscheidungsautorität und/oder Verantwortlichkeiten anregen und über effiziente Prozesse (Governance, integrativer Entscheidungsprozess – vgl. Kap 3.5.1) eine rasche Klärung dazu herbeiführen. Das holakratische System verteilter Autorität adaptiert sich damit permanent von selbst.

„Gut genug“ als Kriterium für Entscheidungen

Die Frage für organisationale Entscheidungsprozesse ist häufig, wie man zur besten Entscheidung bei unterschiedlichen Meinungen kommt. Holacracy setzt hier ein vollkommen anderes Kriterium an: es geht nicht um die bestmögliche Entscheidung, sondern um eine Entscheidung, die gut genug ist, um die Weiterarbeit zu sichern. Gut genug, ist eine Entscheidung dann, wenn sie die erforderliche Kontrolle aufrecht erhält oder wieder herstellt, um den effektiven Betrieb sicher zu stellen. Sie darf also die organisationale Leistungsfähigkeit (ihren Seins-Zweck zu erfüllen) nicht einschränken, sondern muss einen nächsten Schritt „nach vorne“ ermöglichen. Holacracy sucht dabei keine Entscheidung, die alle Perspektiven vollständig einbezieht. Vielmehr soll jede Entscheidung die minimal notwendigen Perspektiven einbeziehen, um die Organisation effektiv (unter der Annahme permanent unvollständiger Information) zu kontrollieren. Damit wird zur Gänze umgangen, ein gemeinsames Verständnis über die „bessere“ oder die „beste“ Entscheidung zu finden. Der praktische Nutzen daraus liegt auf der Hand: wenn viele Optionen existieren, ist die bessere Entscheidung oftmals jene, die schneller getroffen wird. Schnellere Entscheidungsfindung bedeutet, dass mehr Entscheidungen getroffen und mehr Optionen ausprobiert werden können. Letztlich kann damit mehr darüber gelernt werden, was wirklich funktioniert und was nicht. (vgl. Robertson 2007: 19f). Anders gesagt: Es kommt nicht darauf an, welche Entscheidungen man trifft, sondern wie schnell man daraus lernt.

Hierarchie ja, aber anders

In traditionell hierarchisch gesteuerten Organisationen wird top-down, über Planung – Ausführung – Kontrolle gesteuert. Die Einsicht und Einschätzung der hierarchisch übergeordneten Führungskraft wird zum entscheidenden Filter für organisationale Entwicklung. Personen, die in der Hierarchie niedriger angesiedelt sind, haben praktisch keinen offiziellen Weg, der sicherstellt, dass wichtige Informationen oder Erkenntnisse, in die Entscheidungsprozesse der Organisation mit einfließen müssen. Gefühlte Verbesserungspotentiale (holakratisch: Spannungen), die von einzelnen Personen in ihren Rollen wahrgenommen werden, müssen diesen Hierarchie-Filter überwinden, was häufig nicht passiert. Brian Robertson, der Holacracy-Gründer verdeutlicht das mit der Metapher eines Flugzeugs:

Stellen Sie sich vor ein Flugzeug zu fliegen und eines der wichtigsten Instrumente zu ignorieren: die Geschwindigkeitsanzeige und der Höhenmesser sagen, dass alles in Ordnung ist, somit ist die Tankstandsanzeige überstimmt! Natürlich macht das keinen Sinn – wir alle wissen, dass die Tankstandsanzeige auf ein anderes Feld von Informationen eingestellt ist als die anderen – und dennoch sehen wir, wie dieses Muster wieder und wieder in modernen Organisationen abläuft.

(Robertson 2007: 18)

Holacracy eliminiert die Hierarchie von Menschen und Macht: niemand kann mehr sagen „ich bin dein Boss und sage dir was zu tun ist“. Stattdessen etabliert Holacracy eine Hierarchie von Sinn/Zweck und Wirkungsbereich (Laloux 2014: 322). Ein übergeordneter Kreis schließt immer den Zweck aller Unter- Kreise mit ein. Ein Unter-Kreis wiederum hat die volle Autorität alle Entscheidungen in seinem durch den Seins-Zweck festgelegten Wirkungsbereich zu treffen. Entscheidungen werden damit dorthin verlagert, wo sie tatsächlich anfallen. Dies hat mindestens zwei zentrale Vorteile:

  1. Es erhöht die Entscheidungsgeschwindigkeit dramatisch, da nichts nach oben prozessiert werden muss.
  2. Die Wahrnehmungen und Informationen („Spannungen“), die zum Entscheidungsbedarf geführt haben, sind ungefiltert vorhanden.

Die Differenzierung von Entscheidungsbedarfen: Meeting-Typen

Eine weitere Kernpraktik von Holacracy ist die Differenzierung unterschiedlicher Arten von Entscheidungen. Das lässt sich am besten mit einer Fussballmetapher erklären: Es gibt ein Spiel, in dem wird auf bestehende Regeln zurückgegriffen. Schiedsrichter und Spieler beziehen sich auf diese geteilten Regeln und schaffen somit die Möglichkeit für ein flüssiges Spiel. Geht es um die Entscheidung über neue Spielregeln, zB die Einführung von Torlinienkameras, würde niemand auf die Idee kommen, diese während eines Spiels zu diskutieren oder zu treffen. In Organisationen wird dies leider häufig vermischt und dies verlangsamt die Entscheidungsprozesse enorm. Jemand bringt einen Entscheidungsbedarf in ein Meeting, weil nicht klar ist, welche Funktion/Rolle diese Entscheidung treffen darf und wie der Entscheidungsmodus ist. Oft wird dann diese Einzelentscheidung prozessiert. Es wird Meinungsbildung betrieben und letztlich nickt beispielsweise der Geschäftsführer die entstandene Konsensmeinung final ab. Die Entscheidung wird für den Einzelfall getroffen. Daraus entsteht jedoch nicht mehr Klarheit darüber, wer und wie die nächste derartige Entscheidung zu treffen ist. Die Organisation vereinbart keine neue Spielregel, die eine effizientere Entscheidung beim nächsten Mal ermöglichen würde.

Holacracy trennt ganz strikt zwei Arten von Entscheidungsbedarfen:
 

Taktische Entscheidungen

Das sind Entscheidungen über nächste Schritte oder (neue) Projekte, deren Verantwortlichkeit klar bestehenden Rollen zugeordnet werden kann. Grundvoraussetzung dafür: Es gibt eine bestehende, explizite Vereinbarung, welche Rolle das tun soll und darf (in der Metapher: der Schiedsrichter ahndet ein Foul mit einer gelben Karte).

Governance Entscheidungen

Dabei handelt es sich um Entscheidungen über neue Rollen, neue Domänen/Verantwortlichkeiten bestehender Rollen oder neue Richtlinien für die Zusammenarbeit (in der Metapher: es werden neue Spielregeln festgelegt).

Diese beiden Entscheidungsarten werden auch in Form von unterschiedlichen Meetings in Holacracy abgebildet: Taktische Meetings und Governance-Meetings. Nachfolgend ist die Struktur dieser Meetings kurz erläutert.

Governance-Meeting und integrativer Entscheidungsprozess

Die Mitglieder eines Kreises treffen sich regelmäßig (typischerweise mind. einmal pro Monat) oder auch anlassbezogen, um die Spielregeln des Kreises zu entwickeln. Governance-Meetings konzentrieren sich auf die Definition von Rollen (mit Purpose, Domains, Accountabilities) und Richtlinien, die nötig sind, um die Ziele des Kreises zu erreichen. Die Teilnahme steht allen Mitgliedern des Kreises (inkl. Rep Links aus Unter-Kreisen) offen. Die holakratische Verfassung sieht eine typische Agendastruktur eines Governance-Meetings vor:

  1. Check-in-Runde: kurze Runde, die jeder Person hilft im Meeting anzukommen
  2. Administrative Belange: Dauer, Abwesenheiten etc.
  3. Agenda-Erstellung: Der Moderator ruft die Punkte der Agenda für das Meeting an Ort und Stelle ab (Agenda-Punkte werden niemals von früheren Meetings übertragen). Die Teilnehmer nennen die Agenda-Punkte kurz als einfachen Titel (1-2 Worte) und der Moderator notiert sie. Sobald alle Agenda- Punkte aufgelistet sind, schlägt der Moderator eine Reihenfolge vor, wichtige Punkte können auf Anfrage vorgezogen werden.
  4. Agenda-Punkte prozessieren: Die Gruppe durchläuft alle Punkte der Agenda bis die Meeting-Zeit ausläuft oder bis alle Punkte geklärt sind. Für jeden Agenda-Punkt wird der integrative Entscheidungsprozess benutzt. Ein Schriftführer erfasst alle Entscheidungen im Meeting-Protokoll und in den gesamten zusammengestellten Aufzeichnungen der Rollen und Zuständigkeiten des Kreises.
  5. Abschluss-Runde: kurze Runde, in der jede Person die Effektivität des Meetings kommentiert

Governance-Entscheidungen – Entscheidungen über Spielregeln – sind weitreichend. Daher werden sie in Holacracy nach einem sehr rigiden Modus getroffen. Viele Entscheidungsprozesse in Organisationen leiden darunter, dass sie keine effiziente Form finden, wichtige Perspektiven für eine gute Lösung zu integrieren. Dabei ist Perspektivenvielfalt in komplexen Situationen – wie sie Organisationen heute überwiegend vorfinden – ein zentrales Erfolgskriterium für die Qualität von Entscheidungen. Holacracy bietet für genau diese Herausforderung der effizienten Integration wichtiger Perspektiven ein Werkzeug an: den integrativen Entscheidungsprozess (siehe Moderationskarte).
 

Dieser Prozess hilft auf effiziente Weise Spannungen von Personen zu prozessieren. Laufend werden damit die Spielregeln der Zusammenarbeit (Rollen und deren Verantwortlichkeiten, Richtlinien) an neue Informationen angepasst, geklärt und verfeinert. Die Rigidität dieses Prozesses stellt sicher, dass jedes Organisationsmitglied zu jeder Zeit eine wahrgenommene Spannung in sinnvolle Spielregeln (Governance-Output) für die Organisation überführen kann. Und es braucht keine Koalitionen oder mikropolitischen Initiativen oder eine Führungskraft dafür, die sich um das Anliegen kümmert.

Taktische Meetings

Taktische Meetings haben als primären Zweck die Mitglieder eines Kreises in Bezug auf die laufenden Projekte zu synchronisieren. Sie helfen dabei die Arbeit zu erledigen und erleichtern die effektive Planung und Durchführung der operativen Aufgaben eines Kreises. Es gibt unterschiedliche Typen von taktischen Meetings, wie beispielsweise kurze tägliche „Stehungen“ oder wöchentliche virtuelle oder physische Meetings. Ergebnis eines taktischen Meetings ist eine Liste von nächsten Handlungen (next actions oder Projekten), die der Schriftführer festhält und den Kreismitgliedern zukommen lässt.

Auch für Taktische Meetings gibt es eine in der Verfassung definierte Agenda.

  1. Check-in: Identisch mit dem Check-in-Runde des Governance-Meetings
  2. Checklist: die Erledigung wiederkehrender Aufgaben von Kreismitgliedern werden abgefragt (ähnlich einem Instrumente-Check im Flugzeug ist es ein Funktionscheck des Kreises), die Mitglieder antworten einfach mit „check = erledigt“ oder „no check = nicht erledigt“.
  3. Kennzahlen: die zentralen Kennzahlen für die Steuerung des Kreises werden abgefragt. Jedes Kreis- Mitglied mit Zuständigkeit für die Bereitstellung von Daten stellt diese Daten vor.
  4. Projekt-Updates: jedes Kreismitglied hat die Möglichkeit über für den Kreis relevante Updates in seinen Projekten seit dem letzten Meeting zu informieren
  5. Agenda-Erstellung: identisch mit der Agenda-Erstellung für das Governance-Meeting
  6. Agenda-Punkte prozessieren: Die Gruppe durchläuft jeden Punkt der Agenda mit dem Ziel die gesamte Agenda vor dem Ablauf der Zeit zu erfüllen. Typischerweise ist jeder Punkt eine kurze freie Diskussion mit dem Ziel einen nächsten machbaren Schritt oder ein Projekt festzuhalten, dass die Weiterarbeit ermöglicht. Taktik-Meetings nutzen den integrativen Entscheidungsprozess nicht.
  7. Abschluss-Runde: Identisch mit der Governance-Meeting Abschluss-Runde.

Neben taktischen und Governance-Meetings sieht Holacracy auch strategische Meetings mehrmals im Jahr vor. Sie konzentrieren sich darauf, das große Bild zu analysieren und in die wichtigsten Fragen, welche die strategischen Prioritäten des Kreises betreffen, einzutauchen. Das Format ist frei gestaltbar.

Fazit

Vermutlich klingen diese Beschreibungen alle sehr verwirrend beim ersten Lesen. Holacracy hat sein spezifisches, sehr konsistentes Set an Strukturen, Prozessen und Praktiken. Es gibt keine „Light- Version“ oder Abkürzung. Und es braucht Zeit, um die innewohnende Wirkung dieses Betriebssystems vollends zu erfahren. Gleichzeitig reicht ein Erleben eines holakratischen Meetings häufig, um von der Effizienz, die durch den Wegfall von endlosen Diskussionen, Machtspielen und Vielrednerphänomenen entsteht, beeindruckt zu werden. Letztlich geht es in Organisationen – systemisch betrachtet – nur darum, entscheidungsfähig zu bleiben (vgl. Boos/Mitterer 2014). Und das ist das Reizvollste an Holacracy. Es funktioniert wie ein Fleischwolf, bei dem man jegliche Art von Fleisch hineinwerfen kann und es kommt immer Faschiertes heraus. Holacracy ist ein Fleischwolf für organisationale Entscheidungsbedarfe: man wirft eine Spannung hinein und ein rigider Prozess stellt sicher, dass unterschiedliche Perspektiven effizient integriert werden und sinnvoller Output für die Organisation herauskommt.

Dieser Buchbeitrag von Gerald ist erschienen in "Management der Nonprofit-Organisation – Bewährte Instrumente im praktischen Einsatz" (Eschenbach/Meyer/Schober/Horak, 2015).

Literatur:

  • Boos, Frank / Mitterer, Gerald (2014): Einführung in das systemische Management. Carl-Auer: Heidelberg.
  • Laloux, Frederic (2014): Reinventing Organisations. Nelson Parker: Brüssel.
  • Robertson, Brian (2014): History of Holacracy®: The Discovery of an Evolutionary Algorithm. Online auf https://blog.holacracy.org/history-of-holacracy-c7a8489f8eca [16.10.2014]

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