Wir wollten ein selbstlernendes System etablieren.
Was sind die Kernanliegen eurer Arbeit?
Die ONTEC AG ist ein IT-Dienstleister und wurde 2001 als eigenständiges Unternehmen gegründet. Am Firmensitz in Wien arbeiten 60 MitarbeiterInnen, seit Mai 2018 auf Basis von Holacracy. Die Schwerpunkte liegen auf digitaler Transformation und Managed IT-Services für geschäftskritische Prozesse; in den letzten Jahren spielt Artificial Intelligence dabei eine stetig wachsende Rolle.
Der Purpose von ONTEC lautet: Wir wollen Begeisterung schaffen! Ein Umfeld, in dem MitarbeiterInnen begeisternde Lösungen für KundInnen entwickeln. Denn wir glauben daran, dass begeisterte MitarbeiterInnen zu begeisterten KundInnen führen.
- Name: Daniel Sieder
- Rolle: Geschäftsführender Vorstand der ONTEC AG seit 1.1.2021, davor Business Unit Manager der Delivery Unit, Implementation Lead (zu zweit)
- Besonders wichtig ist mir: die gute Zusammenarbeit im Team – Menschen sollen den Mut entwickeln, sich voll zu entfalten und sich mit ihrer Arbeit zu identifizieren sowie eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen in dem Rahmen, den sie sich zutrauen
Was war euer Antrieb, Holacracy einzuführen?
Wir wollten ein selbstlernendes System etablieren: Ein agiles Organisationsmodell, das fit für die Zukunft ist. Die Veränderungsgeschwindigkeit von Organisation erhöht sich laufend. Dafür brauchen wir ein anpassungsfähiges System. Entscheidungen sollten nicht mehr nur im Elfenbeinturm getroffen werden, sondern von den Menschen mit der entsprechenden Kompetenz – sonst lassen wir viel Potential liegen! Außerdem führt verteilte Autorität schlichtweg zu besseren Entscheidungen.
Wir haben in der Vergangenheit einiges ausprobiert und wollten in diese Suchbewegung Stabilität bringen und dadurch im ständigen Wandel effizient bleiben.
Was waren die wichtigsten Wendepunkte innerhalb der Transformation?
Wir haben anfangs versucht, Holacracy light ohne Beratung einzuführen. Wir sind schnell drauf gekommen, dass wir zu viel Potential liegen lassen. Also der Beschluss: Wir müssen ernst machen. Die Trainings bei uns im Haus waren extrem wichtig – das hat geholfen, unsere MitarbeiterInnen auf die Reise mitzunehmen.
Wir sind schnell drauf gekommen, dass wir zu viel Potential liegen lassen. Also der Beschluss: Wir müssen ernst machen.
Richtig cool war, als zum ersten Mal eine wirkliche Dynamik in der Arbeit an der Organisation entstanden ist. Wir haben neue Kreise gebildet, z.B. die Software-Delivery Kreise neu organisiert. Die waren bis dahin zusammengefasst in einem Kreis pro GroßkundIn und einem Sammelkreis für kleine KundInnen. Wir haben dann erkannt, dass diese Struktur den Austausch und damit das Lernen im Softwarebereich zwischen Projekten nicht so gut unterstützt. Daher haben wir dort einen Koordinationskreis eingeführt. Das funktioniert super und entlastet auch den General Company Circle.
Welche Rolle hat dwarfs and Giants in der Transformation gespielt?
Am Anfang ging es stark darum, das Feld aufzubereiten: Also das Management abzuholen und Entscheidungen reifen zu lassen, indem Unklarheiten und Fragen geklärt werden. Dann stand die Vermittlung der Holacracy-Praxis durch Practitioner Trainings im Zentrum: Das war wirklich wichtig, sonst hätten wir uns den Prozess nicht zugetraut. Wir konnten durch die gute Begleitung viel Reibung verhindern – vor allem in schwierigen Phasen – und waren dadurch viel effizienter in der Einführung. Der Frust, der sonst im Change entsteht, war viel geringer, daher haben wir weniger Menschen verloren.
Wie würdest du beschreiben, was sich bis heute verändert hat?
- Verteilte Verantwortung: Es gibt MitarbeiterInnen, die sich (zu-)trauen, ohne Rücksprache einfach in ihren Kompetenzbereichen Entscheidungen zu treffen.
- Rasche Anpassung der Organisation: Wir sind viel flexibler, wenn Veränderungen gebraucht werden – und der Prozess dafür ist super effizient und transparent.
- Transparente Entscheidungsprozesse: Es ist super klar, wer was entscheidet. Früher hatten wir gar keine richtige Organisation. Es gab nur den Chef und den Chef vom Chef.
- Die Formalisierung von Partizipation.
Kannst du uns konkrete Alltagserlebnisse schildern, die symbolhaft dafür stehen?
Wir sind super anpassungsfähig an neue Herausforderungen: Die Umstellung auf Homeoffice aufgrund der Pandemie hat sich angefühlt, als würden wir einfach den Schalter umlegen. Das war nahezu reibungsfreier Change, weil wir das gewohnt sind.
Früher haben unsere Management-Meetings ewig gedauert: Wir haben 4-5 Stunden gebraucht und oft keine einzige Entscheidung getroffen. Heute behandeln wir 25 Agendapunkte in 60 Minuten und haben dabei noch Zeit, blöde Witze zu reißen.
Entscheidungen werden heute nicht mehr nach oben gespielt: Alles was sicherheitsrelevant war, ist früher als Entscheidungsvorschlag bei mir gelandet. Heute haben wir einen CIO, der Entscheidungen gegen meinen Willen trifft. Genau da wollten wir hin, auch wenn es manchmal hart war, das als ehemalige Führungskraft zu erleben.
Ich war immer schwer dagegen, dass sich MitarbeiterInnen ihr Betriebssystem selbst aussuchen dürfen. Jetzt (Stand Ende 2021) haben wir gerade die Diskussion, ob wir das dritte System einführen. Aber im Gegensatz zu früher meistern wir solche Debatten jetzt gemeinsam und ich kann da nicht mehr blockieren. Da musste ich auch über einige emotionale Hürden drüber, aber das gehört dazu.
Was war richtig anstrengend zwischendurch oder was würdest du heute anders machen?
Wir hatten einige Governance-Meetings, die sehr theoretisch geblieben sind und wo wir Grundsatzdiskussionen geführt haben. Es hat ein wenig gedauert, bis das agile Mindset bei allen durchgesickert ist. Da war Üben und „Shadowing“ (externes Begleiten lassen und gemeinsames Reflektieren von Meetings) eine gute Intervention.
Anstrengend war es auch, auszuhalten, dass einige skeptische Menschen gemeint haben, dass alles sehr bürokratisch und ineffizient sei. Das haben meist Menschen geglaubt, die sich nicht eingelassen haben. Da mussten wir immer wieder einen langen Atem beweisen. Jetzt höre ich oft auch von unseren MitarbeiterInnen: „Na, dann mach doch einen Vorschlag!“
Wir haben auch in der Einführungsphase gespart und nur die halbe Belegschaft in den Practitioner Trainings geschult. Die Idee war, dass die geschulte Hälfte den anderen Teil „mitreißen“ wird. Das hat ein Ungleichgewicht geschaffen und zu eigenen Dynamiken geführt.
Was würdest du einer Organisation raten, die sich auf eine solche Reise begibt?
Probiert es ruhig selbst in einer Laborumgebung, damit ihr versteht, wie wichtig professionelle Begleitung ist: Die Praxis und das Training für eine unternehmensweite Implementierung bekommst du alleine einfach nicht hin.
Du musst dir bewusst sein, dass das eine Reise ist. Nach sechs Monaten ist noch nichts erreicht. Die Praxis muss ständig verfeinert und geschliffen werden, damit das Potential wirklich gehoben wird. Die Implementierung braucht wirklich Commitment und Aufmerksamkeit. Wir haben fast drei Jahre gebraucht, um die Effekte zu erzielen, die wir erzielen wollten.
Für uns ist es und bleibt es eine Reise. Aber sogar die SkeptikerInnen sagen jetzt: „Es funktioniert gut und effizient.“